Eine Feldstudie über digitale Wegelagerer sowie kreative Wanderer, und wie aus Negativität Energie wird, mit dem Prinzip der mentalen Multiplikation mit –1.
Eine Wanderung durch die digitale Wildnis
Die digitale Landschaft gleicht heute einem weit verzweigten Wegenetz.
Es gibt Strassen, die zu grossen Städten der Expertise führen, sonnendurchflutete Lichtungen voller Inspiration, und ruhige Orte, an denen Menschen Gedanken austauschen.
Doch dazwischen finden sich auch schmale Pfade, an deren Rändern die Luft dünner wird.
Pfade, auf denen Reisende nicht nur Weggefährten antreffen, sondern auch jene, die im Schatten lauern.
Ich nenne sie gerne die reaktiven Wegelagerer des Diskurses.
In jenen Winkeln, wo Wortmeldungen schneller abgefeuert werden als Gedanken reifen dürfen, begegnet man Gestalten, die keine eigenen Werke tragen, sondern nur mit Steinen des Spotts werfen. Sie bellen, wenn andere sich zeigen und verstummen, sobald das Gegenüber nach dem Grund fragt.
Diese Gestalten sind nicht neu.
Neu ist nur ihre Bühne. Eine Bühne, auf der jeder vernehmbar wird, auch ohne etwas zu sagen zu haben.
Der Philosoph Kierkegaard notierte vor rund 170 Jahren:
«Das Publikum ist eine abstrakte Macht,
die alles nivelliert und keine Verantwortung kennt.»
Er hätte staunen dürfen, wie präzise diese Worte die Mechanismen der Gegenwart beschreiben.
Dieser Essay dreht sich nicht nur um jene, die reagieren, sondern er widmet sich ebenso jenen, die erschaffen.
Den kreativen Wanderern, die aufbrechen, um Neues zu formen, Risiken eingehen, Ideen ins Freie setzen und sich selbst damit unweigerlich exponieren. Menschen, für die Gestalten nicht Wahl, sondern Wesen ist. Eine gelebte DNA seiner selbst.
Um sie beide soll es gehen.
Die Reaktiven und die Schöpferischen, ihre Natur, ihre Dynamiken und die Art der Begegnung zwischen ihnen.
Die erste Spezies: Die Reaktiven und die Anatomie einer Haltung
Der reaktive Reflex:
Reaktive Menschen treten meist nicht als Gestalter des Diskurses in Erscheinung, sondern als Echo. Sie leben im Modus des Sofort. Ihr Denksystem reagiert, bevor es reflektiert. Sie sehen einen Beitrag und ihr innerer Mechanismus schnellt nach vorne, wie ein angeketteter Hofhund, der auf jeden Schatten reagiert. Es ist kein Biss, sondern ein Lautwerden. Er ist ein Versuch, Bedeutung zu erzeugen, indem man sich hörbar macht.
Im Kern ist es ein Reflex. Kein Wille zur Auseinandersetzung, kein Beitrag zur Sache, sondern ein Ventil.
Reaktivität ist ökonomisch, denn sie ist billig. Ein Gedanke kostet Zeit, Mut und oft auch Verletzlichkeit. Eine Reaktion kostet nichts.
Psychologische Hintergründe:
Die Reaktiven reagieren nicht, weil sie schlecht sind, sondern weil sie innerlich feststecken. Drei zentrale Elemente prägen dieses Muster:
Fantasiearmut:
Nicht im intellektuellen Sinn, sondern im strukturellen. Die innere Welt reaktiver Menschen ist oft unelastisch. Neue Ideen erzeugen Spannung, die sie nicht gut regulieren können. Deshalb greifen sie nicht nach dem Neuen, sondern versuchen, es herunterzuziehen.
Unsicherheit:
Viele Reaktive besitzen ein empfindliches Selbstwertsystem. Ein Gedanke eines anderen kann sie verunsichern, nicht weil er schlecht ist, sondern weil er zeigt, was sie selbst nicht wagen. Kritik ist ihr Schutzschild.
Nietzsche schrieb dazu:
«Manch einer fährt mit dem Schlitten seines Hasses schneller als mit dem Wagen seiner Liebe.»
Da ergänze ich doch gerne mit ….. «… schneller als mit dem Wagen seiner Kreativität.»
Anerkennungsdurst:
Eine öffentliche Reaktion, selbst eine destruktive, schafft Resonanz. Sie erzeugt Sichtbarkeit, etwas, das sie auf anderem Wege nicht erzielen. Der Applaus der Mitläufer, auch wenn er nur ein Klick ist, wirkt wie ein kleiner Stromstoss, der das Ego kurz auflädt.
Warum sie laut sind:
Die Reaktiven leben in der Ökonomie des Knappen. Knappheit an Mut, Knappheit an Selbstsicherheit, Knappheit an innerer Breite. Sie versuchen, diese Knappheit auszugleichen, indem sie Lautstärke erzeugen. Auf der digitalen Bühne ist Lautsein oft genug, um beachtet zu werden. Die Algorithmen der Plattformen belohnen Reaktion, nicht Reflexion. So entsteht ein natürlicher Vorteil für jene, die sofort zurückschiessen, statt abzuwägen.
Warum sie verstummen, wenn es ernst wird:
Es gibt ein Muster, das sich durch nahezu alle reaktiven Interaktionen zieht. Je sachlicher, je präziser, je ruhiger ein Gespräch wird, desto schneller verschwinden die Reaktiven. Die ruhige Frage nach einem Argument ist für sie das, was Licht für Kellerasseln ist. Nicht Feind, sondern Offenlegung.
Viele Reaktive sind nicht auf Dialog ausgerichtet, sondern auf Bühne. Wenn man ihnen diese Bühne entzieht, indem man die Diskussion auf die Sachebene hebt, haben sie nichts mehr zu sagen.
Die Rolle der Mitläufer:
Reaktive bewegen sich selten allein. Ihre Wirkung entsteht durch ein Publikum, das ihre Impulse verstärkt. Ein ironischer Kommentar erhält ein paar zustimmende Zeichen, ein sarkastischer Seitenhieb wird geliked. Dies nicht aus inhaltlichem Grund, sondern aus Gruppendynamik. Es entsteht ein Mikro-Kollektiv, das wenig mit Meinungsaustausch zu tun hat, aber viel mit sozialem Platznehmen.
Eine erfundene Anekdote dazu: In einer Diskussion über berufliche Neuorientierung teilte eine Autorin einen ehrlichen Erfahrungsbericht. Innerhalb Minuten schoss ein Kommentar darunter: «Wieder so ein Selbstoptimierungs-Geschwätz.» Zwei weitere Nutzer klickten sofort auf „Gefällt mir“, offenbar im Schulterschluss. Später stellte sich heraus, dass keiner der drei den eigentlichen Beitrag gelesen hatte, sie hatten bloss den ersten Satz gesehen.
Die Autorin antwortete höflich: «Was genau meinen Sie mit Geschwätz?».
Der Kommentator verstummte. Auch die beiden Mitläufer als Wegelagerer verzogen sich.
Man könnte sagen: «Der Stein rollte zurück.».
Die zweite Spezies: Die Schöpferischen als Wesen eines anderen Elements
Schöpferische Menschen funktionieren nach einem anderen inneren Prinzip. Ihre Impulse zielen nicht auf Reaktion, sondern auf Gestaltung. Wo Reaktive einen Beitrag als Einladung zur Abwertung sehen, erkennen Schöpferische ihn als Möglichkeit, weiterzudenken, zu ergänzen, zu entwickeln. Ihr Denken gleicht nicht einem Funken, der kurz aufleuchtet, sondern einer Glut, die stetig brennt.
Mut zur Sichtbarkeit:
Jede Idee, die den privaten Raum verlässt, trägt Risiko. Wer etwas zeigt, sei es ein Gedanke, ein Projekt oder ein Werk, lädt zum Urteil ein. Es ist eine Form der Exposition, die nicht jedem liegt. Schöpferische gehen dieses Risiko ein, weil sie eine innere Notwendigkeit verspüren. Dies nicht im Sinne einer Pflicht, sondern eines Impulses, der sich nicht unterdrücken lässt.
Eine zweite, ebenso erfundene Anekdote dazu: Ein junger Ingenieur postete ein Konzept für eine nachhaltige Kleinwindturbine. Innerhalb einer Stunde kommentierte jemand: «Das wird nie funktionieren.» Der Ingenieur fragte freundlich zurück: «Welche Berechnung führt Sie zu dieser Einschätzung?». Es kam, oh Überraschung, keine Antwort. Ein renommierter Physiker kommentierte später: «Das Konzept ist unkonventionell, aber vielversprechend. Experimentieren Sie weiter.» Der junge Ingenieur tat es und die Turbine funktioniert heute in drei alpinen Hütten.
Eine reaktive Stimme verstummte. Eine schöpferische Stimme gewann Raum.
Was Schöpferische antreibt:
Schöpferische Menschen handeln selten aus Geltungsdrang. Ihr Motor und Antrieb ist vielmehr innerer Natur, dies in Form von Neugier, Freude, Sinnstiftung. Sie folgen einer Idee nicht, weil sie dafür Applaus erwarten, sondern weil der Akt des Erschaffens selbst Wert trägt.
Fortschritt, sei er noch so klein, ist ihr Kompass.
Ein mathematisches Intermezzo und die Multiplikation mit –1
Negativität lässt sich nicht immer vermeiden, aber sie lässt sich transformieren. Die Idee der Multiplikation mit –1 bietet dafür ein erstaunlich elegantes Bild. Mathematisch kehrt diese Operation das Vorzeichen um ….. aus Minus wird Plus. Aus einem destruktiven Impuls kann ein konstruktives Ergebnis entstehen. Nicht trotz, sondern aufgrund und dank des Angriffes.
Diese Umkehrung ist kein psychologischer Trick, sondern ein mentales Prinzip. Wer kritisiert wird, kann die Kritik multiplizieren:
Nicht gegen sich. Sondern mit –1.
Das bedeutet, somit, dass eine abwertende Bemerkung, multipliziert mit –1, zum Treiber für Schärfung wird. Ein zynischer Einwurf, multipliziert mit –1, wird zur Gelegenheit, die eigene Position zu klären. Ein Angriff, multipliziert mit –1, wird zur Energiequelle, die das eigene Werk weiterträgt.
Viele schöpferisch Wirkende kennen dieses Phänomen instinktiv. Sie fühlen den Stachel, aber sie bleiben nicht stehen. Sie wandeln ihn um.
Eine wiederum erfundene dritte Anekdote dazu: Ein Unternehmer erhielt nach einem Vortrag den Kommentar: «Ihr Modell ist völlig unrealistisch.» Er fragte postwendend: «Welcher Teil genau?». Wieder keine Antwort. Dennoch überprüfte er sein Modell. Dabei entdeckte er zwei Annahmen, die tatsächlich ungenau waren. Nicht wegen der Kritik, sondern aufgrund der Reflexion, die sie auslöste. Heute ist das Modell Basis eines erfolgreichen Geschäftsbereichs.
Man könnte sagen, dass er mit –1 multipliziert hat.
Typologie der Reaktiven als ein Frühwarnsystem
Reaktivität zeigt erkennbare Muster. Wer diese Muster kennt, erkennt Wegelagerer frühzeitig.
Der schnelle Schatten:
Reaktive kommentieren oft in Sekunden. Nicht zwingend, weil sie schnell denken, sondern weil sie ebem nicht denken. Die Geschwindigkeit ihrer Reaktion ist kein Zeichen von Klarheit, sondern von Impulsivität.
Der Themenwechsel:
Reaktive wechseln von der Sachebene zur Personenebene, sobald die Argumente knapp werden. Ein Gedanke wird nicht geprüft, sondern der Denkende bewertet.
Die ironische Maske:
Ironie ist das bevorzugte Werkzeug reaktiver Menschen. Nicht die feine, kunstvolle Ironie des Feuilletons, sondern die schneidende, entwertende und niederschmetternde Variante, die sich leicht schreiben lässt und schwer widerlegen lässt.
Die Abwesenheit eigener Werke:
Fast alle reaktiven Akteure teilen eines, sie zeigen selten eigene Ideen. Ihr Profil ist ein Archiv von Reaktionen und selben bis gar nicht von Schöpfungen.
Das Verstummen bei Rückfragen:
Eine einfache, höfliche Frage wie «Wie meinen Sie das genau und präziser formuliert?» reicht oft, um die Fassadenreaktion zum Einsturz zu bringen.
Der Umgang mit Reaktiven und ein Kompass für kreative Reisende
Nicht füttern …
Reaktive leben von Aufmerksamkeit. Wer reagiert, nährt sie. Der wirksamste Schritt ist oft das Nichtbeachten sowie aktive Ignorieren. Schweigen ist hier bei Weitem keine Schwäche, sondern eine strategische Entscheidung.
Entschärfen durch Präzision …
Ein klarer Satz kann reaktive Energie neutralisieren: «Ich verstehe Ihre Ansicht. Wie lautet Ihr konkreter Vorschlag?». In wohl mindestens 90 Prozent der Fälle bleibt die Antwort aus.
Humor als leichtes Gegengewicht …
Humor kann entwaffnen, ohne zu verletzen. Nicht als Spott, sondern als Leichtigkeit, die das Drama nimmt und neutralisiert. Eine Bemerkung wie «Ein interessanter Blickwinkel. Ich warte noch auf die mathematische Herleitung» zeigt Haltung ohne Aggression.
Das Prinzip –1 …
Negativität umkehren bedeutet nicht, sie schönzureden. Es bedeutet, sie fruchtbar zu machen. Die Multiplikation mit –1 verwandelt Angriffe in Antrieb.
Die Kunst des Weitergehens …
Der grösste Unterschied zwischen reaktiven und schöpferischen Menschen ist einfach, Reaktive bleiben stehen und Schöpferische gehen weiter.
Meta-Ebene und Warum beide Spezies einander brauchen
Das Zusammenspiel zwischen Reaktiven und Schöpferischen ist kein Zufall. Reaktive erzeugen Widerstand, der Klarheit schafft. Sie markieren den Rand der Diskurslandschaft, an dem sich Orientierung bildet. Schöpferische wiederum erzeugen Fortschritt, der den Raum erweitert.
Ohne Reaktive wäre wohl alles gleichgültig. Ohne Schöpferische wäre bestimmt alles stehengeblieben.
In einer paradoxen Weise bilden beide ein Gleichgewicht, das die Evolution von Ideen ermöglicht. Somit eine Symbiose von Reaktiven und Schöpfern.
Einladung an die Gestalter als (m)ein Epilog
Dieser Essay ist kein Urteil über Menschen, sondern eine Betrachtung von Mustern. Reaktive sind keine Feinde, sondern Spiegel. Schöpferische sind keine Helden, sondern Reisende.
Die Welt verändert sich DANK jenen welche gehen und nicht durch jene, die stehenbleiben. Wer erschafft, exponiert sich. Wer exponiert ist, wird kritisiert. Und wer kritisiert wird, kann die Kritik multiplizieren. Dies nicht gegen sich, sondern mit –1.
Der Wanderer geht weiter.
Der Wegelagerer bleibt zurück.
So entsteht Fortschritt.
So entsteht Kultur.
So entsteht Zukunft.
Wenn dieser Text eines zeigen soll, dann gerne dies, dass die kreative Front nicht alleine ist. Sie ist eine Gemeinschaft von Menschen, die denken, gestalten, hinterfragen und den Mut haben, sichtbar zu sein. Sie darf sich bewusst sein, dass Negativität nicht das Ende einer Bewegung ist, sondern oft ihr Anfang.
Die Multiplikation mit –1 ist nicht nur ein mathematisches Bild, sie ist vielmehr ein Kompass für jene, die weitergehen.
In eigener Sache
Diese Gedankenreise darf sehr gern geteilt, diskutiert, weitergedacht werden.
DIESE Gedankenreise habe ich bewusst gekürzt, damit du Nemesis in dein Leben lassen kannst.
In dein Leben und für dein Leben.
Ich bin offen für Gespräche, Aufträge, Projekte – auch (oder gerade) in bewegten Zeiten wie wir sie aktuell durchleben.
Denn genau dann lohnt es sich, sich durch Reaktive nicht ausbremsen zu lassen und sich erst recht der schöpferischen Gestaltung zu widmen, um dich wieder mit gewonnener Kraft auf Augenhöhe dem respektvollen Miteinander zuzuwenden und ein Mensch des positiven Handelns in Freiheit zu werden.
Mit Haltung.
Mit Tiefe.
Mit Freude an erfrischend respektvollen Leben.
Weisst du was?
Ich brauche dich nicht, weil du leidest oder arbeitest für mich.
Ich liebe dich, weil du DU bist – selbst, wenn du nichts tust.
La vita è bella! 😎
Herzlichst aus Helvetien, dein/euer Maurizio.
PS:
Solltest du über dieses oder andere Themen meiner Artikel und Blogs sprechen, sinnieren, philosophieren wollen, «I’m your man». Melde dich sehr gerne, wie es bisher schon einige sehr wertvolle Menschen und Firmen taten, mit denen ich bereits schöne sowie wertbringende Aktionen und Veränderungen umsetzen durfte.
Dir gehöre der erste Schritt – wir schreiten dann zusammen voran. Versprochen. 😉
PPS:
Ein Weg, mit mir in Dialog zu treten ist, dass du diesen Bolg von mir auf LinkedIn kommentierst oder darüber mit mir in Kontakt trittst.
Wie dahin? Ganz einfach mit Klick auf den Link hier rechts: https://www.linkedin.com/pulse/die-reaktiven-und-sch%25C3%25B6pferischen-maurizio-tondolo-9ewvf