Es gibt Sätze, die tauchen plötzlich auf. Gefühlt wie aus dem Nichts, wie aus einem stillen Raum.
Einer davon hat sich in mir festgesetzt:
«Erzähle mir deine Geschichte und ich lerne dich verstehen.»
Es klingt einfach, fast zu banal. Doch in diesen wenigen Worten liegt eine Kraft, die unsere Gesellschaft dringender braucht denn je.
Denn selten war die Welt lauter im Urteilen, schneller im Fingerzeigen und knapper im Zuhören als heutzutage.
Der Finger, der zurückzeigt
Wir alle kennen dieses Bild. Ein Finger zeigt nach draussen, klagt an, beschuldigt, an den Pranger stellend und verurteilend. Doch drei Finger derselben Hand weisen auf einem selbst zurück.
Dieses Bild ist nicht nur eine Mahnung zur Selbstreflexion, es ist vielmehr ein Hinweis, dass Verstehen immer zuerst innen beginnt.
Doch Selbstreflexion ist unbequem. Sie zwingt uns, in den Spiegel zu schauen und zuzugeben, dass wir Teil des Problems sind, das wir so gern im Aussen suchen und somit von uns weisen.
Viele Menschen wählen daher den vermeintlich leichteren Weg. Sie reden, sie urteilen, sie fordern und überhören die Geschichten, die andere mit sich tragen. Sie verweigern sich dem Aussen.
Ein König und das Wasser des Wahnsinns
Es gibt eine Geschichte aus einem der Bücher von Dan Millman, die dies wunderbar illustriert.
Hier fasse ich diese Geschichte kurz zusammen.
Ein König lebt auf einem Hügel, weise, gerecht, beliebt. Eines Tages aber wird das Trinkwasser des Volkes vergiftet und alle Menschen werden verrückt. Nur der König, hoch oben in seinem Schloss, bleibt klar.
Doch bald wenden sich die Leute von ihm ab. Seine Urteile wirken lächerlich, seine Weisheit unverständlich.
Er ist plötzlich der Aussenseiter.
Am Ende steigt der König hinab, trinkt vom Brunnen und die Menschen jubeln: «Unser König ist wieder vernünftig!»
Die Moral ist bitter:
Normalität wird von der Mehrheit definiert, nicht von Wahrheit.
Secondo, ein Kind einer Zwischenwelt
Ich trage diese Geschichte in mir, weil sie auch ein Teil meiner eigenen ist. Ich bin ein Secondo, ein Kind von Migranten, zweite Generation in der Schweiz.
«Sie riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.»
Dieser Satz beschreibt das Schicksal unserer Familien auf den Punkt.
In den 70er-Jahren aufzuwachsen, hiess es für uns, ständig zwischen zwei Welten zu stehen.
Auf der einen Seite unsere Eltern, die sich wünschten, angenommen zu werden. Sie tranken vom Brunnen, passten sich an, blieben still, gehorchten, assimilierten.
Sie verlangten das auch von uns Kindern. Eben, nicht auffallen, keinen Ärger machen, ja keine Angriffsfläche bieten.
Die damalige «Schwarzenbach-Initiative» hing wie ein Damoklesschwert über unsere Leben hier in der Schweiz. Als Gastarbeiter und Menschen, die gerufen wurden um zu arbeiten.
Auf der anderen Seite eine Gesellschaft, die uns oft nur als «Tschingge» abtat.
Eine Fremdbezeichnung, die mehr abwertete als beschrieb. Beschrieb soviel, dass «Tsching» (geschrieben +/- wie ausgesprochen) lediglich für die Zahl 5 im Dialekt aus nördlichem Italien und Tessin steht und von einem Gastarbeiter-Spiel der damaligen Zeit herkam. Eine leichte Adaption vom bekannten «Schere, Stein, Papier».
So lernten wir früh:
Die Mehrheit bestimmt, was normal ist.
Aber unsere Wurzeln flüsterten uns, dass es auch anders sein kann.
Erinnerungen, die Spuren hinterlassen
Ich erinnere mich an meine Primarschule. Meine Lehrerin war hager, ausgehungert, scharfzüngig.
Sie wirkte auf mich wie eine Heuschrecke, die über das Feld der Kinder zog. In ihren Augen war ich nicht still, sondern verdächtig still.
«Mit diesen Ausländern stimmt etwas nicht», schien ihr Blick zu sagen.
Meine Eltern wurden immer wieder zitiert. Dies notabene nicht, weil ich etwas angestellt hätte, sondern weil meine Ruhe, mein Nicht-Auffallen auffällig war. Schon dort lernte ich, dass Schweigen lauter sein kann als Worte.
Und doch gab es da auch das andere Gesicht meiner Kindheit.
Meine Clique in der Siedlung, in einer Kleinstadt an der Grenze von Zürich. Sie klingelten mich aus meinem stillen Gemach heraus, zogen mich in ihre Abenteuer.
«Du hast immer die besten Ideen», sagten sie. Tatsächlich sprudelten die Ideen, gespeist aus Fantasie, aus dem, was hätte sein können, wenn das enge Korsett der Anpassung nicht so festgezurrt wäre.
Wir unternahmen Velotouren bis an die deutsche Grenze. Kinder noch, aber schon kleine Entdecker.
Ich fand immer einen spannenden Weg hin und einen anderen abwechslungsreichen zurück.
Unsere Eltern?
Sie wussten nichts davon. Wir waren einfach draussen am Spielen, frei, in Leichtigkeit und umhüllt von Unternehmerdurst.
In diesen Momenten atmete ich die Luft eines anderen Lebens.
Später, im Militär, zeigte sich erneut, was es heisst, zwischen Welten zu leben.
Ich sprach drei Sprachen, dazu den Dialekt meiner Zürcher Heimat. Für die einen war ich zu viel Italiener/Franzose, für die anderen zu sehr Zürcher (Züri-Schnurä). Alles rote Tücher für die sogenannte Normalität und Konformität.
Jedoch, wenn es brenzlig wurde, stellten sich Kameraden aus den verschiedensten Landesteilen zu mir.
Sie packten mich wortwörtlich zu sich: «Er gehört zu uns.»
Ein paradoxes Gefühl, das «Dazugehören durch Anderssein».
Vielleicht ist genau das mein Erbe aus dieser Zwischenwelt:
Ich habe gelernt, Szenen und Gegebenheiten immer von mehreren Seiten zu betrachten, die Perspektive zu wechseln.
Nichts nehme ich selbstverständlich und als gegebene Wahrheit resp. Tatsache, alles wird hinterfragt. Das ist manchmal Last, aber noch öfter ein Geschenk.
Denn in diesem Zwischenraum,
zwischen Wahrheit und Normalität,
entstehen die Fragen, die Türen öffnen.
Normalität ist ein Konstrukt
Hier liegt vielleicht einer der grössten Schätze dieser Zwischenwelt-Erfahrung.
Wir sehen deutlicher, wie die sogenannte und teils orchestrierte «Normalität» konstruiert wird.
Regeln, Traditionen, Gewohnheiten, Vorgaben, Doktrinen … sie alle wirken fest und quasi unumstösslich, doch in Wahrheit sind sie biegsam, wandelbar, oft künstlich und auf fragilem Fundament gebaut.
Wer nur eine Welt kennt, nimmt ihre Normalität für gegeben.
Wer aber zwischen Welten zu (über)leben gelernt hat und noch immer so lebt erkennt, dass es auch ganz anders sein kann.
Diese Erkenntnis hat mich geprägt.
Sie hat mich pragmatisch gemacht und gelehrt, Lösungen dort zu suchen, wo andere nur Probleme sehen.
Und sie hat mich korrekt gemacht, weil ich weiss, dass gerade in Zwischenräumen Fairness und Genauigkeit das einzige sind, was Vertrauen schafft.
Pareto – die 80/20-Regel – muss immer neu definiert werden.
Manchmal reicht das 80/20, manchmal braucht es die 100. Entscheidend ist, bewusst zu wählen.
Die Parabel weitergedacht
Wenn ich die Königsgeschichte weiterschreibe, entsteht ein anderes Ende.
Der König steigt hinab ins Dorf. Er sieht, wie die Menschen trinken, lachen, toben.
Doch er hebt den Becher nicht an seine Lippen, stattdessen setzt er sich nieder und sagt:
«Erzählt mir eure Geschichten,
und ich will euch zuhören.»
Zuerst herrscht Schweigen. Doch irgendwann beginnt einer zu sprechen.
Dann eine andere und bald fliessen Worte wie ein anderes Wasser. Ein Wasser, das nicht krank macht, sondern heilt.
Je mehr die Menschen einander erzählen, desto klarer werden ihre Augen.
Sie merken, dass es mehr gibt als nur das vergiftete Wasser.
Es gibt ein tieferes Brunnenwasser, das in den Geschichten ihrer Herzen sprudelt.
Leuchtturm statt Titanic
Vielleicht ist das genau unsere Aufgabe. Nicht alle aufzufordern, sofort in die Tiefen der Selbstreflexion zu tauchen.
Das wäre allenfalls riskant. Mancher könnte untergehen wie die Titanic.
Sondern kleine Leuchttürme zu setzen, Signallichter, die den Weg andeuten.
Geschichten können solche Leuchttürme sein. Sie sind wie Brocken-Signaletik in den Bergen als zahlreiche kleine und grossen «Steinmandli» als Wegweiser, die Orientierung geben, auch wenn der Weg beschwerlich und getrübt ist.
Wenn wir einander zuhören, entsteht Vertrauen.
Wenn wir erzählen, entstehen Brücken und
wenn wir reflektieren, entdecken wir das Licht in uns selbst.
Ein Appell
Darum möchte ich am Ende einen Appell setzen. Ein SOS, ein Signal, ein Ruf in die Welt.
Erzähl mir deine Geschichte, und ich lerne dich verstehen.
Es ist so einfach und doch so schwer. Aber vielleicht ist genau das unser Weg zu mehr Menschlichkeit.
Nicht mehr Fingerzeig, sondern Zuhören.
Nicht mehr Normalität um jeden Preis, sondern Wahrhaftigkeit.
Wir alle können Leuchttürme füreinander sein. Nicht, indem wir die anderen zwingen, unser Wasser zu trinken, sondern indem wir einander Geschichten schenken und darin das tiefe, klare Wasser wiederfinden, das uns verbindet.
Call-to-Action
Wenn du das hier liest und dir denkst: Ja, genau das brauchen wir in unserem Team, in unserem Projekt, in unserer Organisation, dann weiss ich, warum ich diesen Text geschrieben habe. Dies ist mir (Be)Lohn(ung).
Denn meine Geschichte ist nicht nur meine, sie ist auch mein Werkzeug. Als Mensch der Zwischenwelt bringe ich die Fähigkeit mit, Brücken zu bauen, Perspektiven zu verbinden, Flow zurückzubringen.
- Wenn Projekte stocken oder brachliegen.
- Wenn Teams blockiert sind und neue Energie brauchen.
- Oder wenn schlicht «Not am Mann resp. an der Frau» ist und jemand von aussen gebraucht wird.
Dafür stehe ich mit meiner Firma «tondolo.ONE» deine Kreativ- Disruptiven Projektmanager für KMU, Bildung, NGO/NPO & Vereine der 🇨🇭 offen.
Sei dies als externer Begleiter, als Freelancer, als Wegweiser für die ersten Schritte.
Die Einladung ist klar:
Lass uns deine Geschichte hören.
Vielleicht beginnen wir genau dort, deinen Weg weiterzuschreiben.
La vita è bella! 😎
Herzlichst, dein/euer Maurizio
PS:
Falls du diese meine Geschichte nochmals auf LinkedIn lesen magst, gehts hier lang: https://www.linkedin.com/pulse/erz%25C3%25A4hle-mir-deine-geschichte-und-ich-lerne-dich-maurizio-tondolo-5nalf
Auf LinkedIn kannst du dann auch kommentieren, wenn dir danach ist.