Ein Plädoyer für das «UND»
Es ist ein Reflex. Ein uralter Mechanismus, der uns zwingt, die Welt in Schwarz und Weiss zu teilen, in Gut und Böse, Richtig und Falsch.
Und doch – das Leben ist nicht so simpel.
Es bewegt sich in Zwischentönen, in Grauschattierungen, in Farben, die wir erst sehen, wenn wir aufhören, mit Scheuklappen durch die Welt zu rennen.
Die Geburt von Kaibel
Aus der tiefsten Vergangenheit unserer kollektiven Erzählungen kennen wir sie: Kain und Abel, zwei Brüder, die in einem Konflikt endeten, der als erster Mord der Menschheitsgeschichte gilt.
Ein Symbol für Gegensätze, für den ewigen Kampf zwischen zwei Prinzipien:
- Kain, der Sesshafte, der Bauer, der Bewahrer
- Abel, der Nomade, der Hirte, der Wandelbare
Am Ende obsiegte der Konflikt über die Koexistenz – Kain tötete Abel.
Doch was, wenn die Geschichte anders erzählt worden wäre?
Was, wenn nicht Gegeneinander, sondern Miteinander das Gebot gewesen wäre?
Dann gäbe es vielleicht «Kaibel», eine Synthese aus beiden – ein Wesen, das sesshaft ist und sich doch bewegt, das Altes bewahrt, aber Neues umarmt.
Jein und Aber – Sprachliche Spiegel der Zerrissenheit
Wir erleben Kains und Abels Konflikt täglich in unserer Sprache.
In jedem «Jein» – diesem Mischwesen aus Ja und Nein, das eine Entscheidung offenhält, weil es die Wahrheit in beiden Seiten erkennt.
In jedem «Aber» – dem kleinen Wort, das eine Zustimmung relativiert und eine Tür zum Widerspruch aufstösst.
Diese beiden Wörter zeigen, dass wir uns oft in einem inneren Ringen befinden. Wir sind nie nur für oder gegen etwas, sondern spüren die Ambivalenz des Lebens.
Doch was wäre, wenn wir uns aus diesem Dilemma lösen könnten?
Wenn wir nicht in «Ja oder Nein» denken müssten, sondern das «UND» als Möglichkeit verstünden?
Das UND als Revolution
Die Welt liebt Extreme. Sie lebt von den Entweder-Oder-Denkern, von denen, die lautstark verkünden: «Du bist entweder für uns oder gegen uns!»
Doch genau hier liegt das Problem.
Dieses Denken führt zu Spaltung, zu Stillstand, zu Eskalation. «Divide et impera», damit wird «teile und herrsche» genährt.
Was wir brauchen, ist die Kunst des UND. Die Fähigkeit, Gegensätze nicht nur zu akzeptieren, sondern sie produktiv zu machen:
- Tradition UND Fortschritt
Wir ehren die Vergangenheit, aber lassen sie nicht zur Fessel werden - Sicherheit UND Freiheit
Wir brauchen Strukturen, doch dürfen uns nicht in ihnen verlieren - Meinung UND Reflexion
Wir können überzeugt sein, ohne andere Perspektiven zu ignorieren
Das UND bedeutet nicht Beliebigkeit. Es bedeutet nicht, dass alles gleich gültig ist. Es bedeutet, dass wir aufhören, unsere eigene Meinung als absolute Wahrheit zu betrachten und stattdessen lernen, Widersprüche galant zu navigieren, ohne sie zum Krieg zu erklären.
Werde Wasser, nicht Stein
Extremisten und Fundamentalisten jeglicher Art fürchten das UND. Sie leben vom klaren Feindbild, von der Idee, dass nur eine einzige Wahrheit existiert.
Doch das Leben ist kein starres Monument, sondern ein Fluss. Wer sich nur auf seinem Standpunkt einbetoniert, wird eines Tages von der Strömung unterspült.
Wasser findet seinen Weg. Es passt sich an, es bewegt sich, es verändert – aber es verliert nie seine Essenz.
Genau das sollten wir tun:
- unsere Werte bewahren, aber flexibel bleiben
- unsere Identität behalten, gleichzeitig offen für Wandel sein
- die eigenen Überzeugungen reflektieren, ohne sie bei jedem Windstoss aufzugeben
Kaibel als Leitbild für eine neue Haltung
Wenn wir die Geschichte von Kain und Abel heute neu schreiben könnten, dann nicht als Tragödie, sondern als Lehre.
Nicht als Mord, sondern als Verschmelzung.
Das Alte und das Neue müssen nicht in Kampf verfallen – sie können gemeinsam existieren.
«Kaibel» ist eine Haltung.
Ein Gedanke.
Eine Lebensweise.
Es ist die Weigerung, sich zwischen zwei Polen zwingen zu lassen, wenn das Leben doch erst zwischen ihnen zur Blüte kommt.
Es ist die Einladung, das «UND» nicht als Widerspruch, sondern als Chance zu begreifen.
Die Frage ist:
«Bist du bereit, den Konflikt nicht zu beenden – sondern ihn auszuhalten? Ihn zu verstehen, ihn zu nutzen?»
Dann willkommen im Denkraum von Kaibel.
La vita è bella! 😎
Dein/euer Maurizio
PS
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